Ulrike Draesner im Gespräch

Shownotes

Unsere Gästin: Vielleicht kennen Sie ja folgendes Problem. Es ist ein literarisches, eigentlich eher ein betriebliches. Der Leser, so sagt das Problem, braucht eine Unterscheidung. Er muss wissen, ist dieses Buch nun zur Unterhaltung gedacht oder ist es ernsthafte Literatur. Natürlich ist das Problem selbst nicht real, eher ein Gespenst. Ein ausdauerndes allerdings, das in den Köpfen von so manchem Büchermenschen herumspukt. Sollten sie diesem Gespenst einmal begegnen, habe ich folgenden Ratschlag für sie: Gehen sie in die nächste Buchhandlung, nehmen sie das Gespenst gerne mit, und dann holen sie sich ein Buch von Ulrike Draesner. Fangen sie gleich an daraus vorzulesen, die Mündlichkeit ist schließlich wichtig, erst recht in der Lyrik, die Draesner seit Beginn ihrer Karriere neben Prosa und so vielem anderen schreibt. Lesen sie laut und achten sie auf die Sätze, auf jedes Detail. Darauf wie fein das alles gebaut ist, so durchdacht, halt, sagen sie, Schluss jetzt mit dem Achten. Sie wollen lesen. Sie wollen wissen was als Nächstes kommt. Das Gespenst schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Es sieht seine Felle davonschwimmen. Wagen wir von hier aus einen Sprung. "Sieben Sprünge vom Rand der Welt“ heißt der erste Band in Draesners autobiografisch geprägter Trilogie über Flucht und Vertreibung. Der letzte „Die Verwandelten“ erscheint in wenigen Tagen. Doch dahin wollte ich sie gar nicht führen. Also noch einmal. Hin zu den Fellen. In der allgemeinen Vorstellung lagen die doch neben den Feuerstellen der Steinzeitmenschen. Naja eigentlich der Steinzeitfrauen, denn die Männer waren draußen die Beute erjagen. Haben sie schon oft so gehört? Wieder empfehle ich einen Blick in Draesners Werk, diesmal: Doggerland. Darin vermisst Draesner das Land zwischen England und Kontinentaleuropa, heute unter der Nordsee begraben. Aber vor allem unsere patriarchal geprägten Vorstellungen vom Steinzeitmenschen. Überhaupt das vermessen und England. Ulrike Draesner wurde 1962 in München geboren. Sie hat dort studiert, später wechselte sie nach Oxford. Deutschland, England, Deutschland. Nach ihrer Rückkehr merkte sie, wie sich in ihrem Kopf die Sprachen vermischten. Das ergab neue Kombinationen, ungewöhnliche Bedeutungsmuster, aber vor allem war es die Geburtsstunde der Schriftstellerin Ulrike Draesner. Seitdem ist vieles erschienen: Autobiografische Bücher, Lyrikbände, Essaysammlungen, Romane und Kurzgeschichten. Draesner ist Professorin geworden, unterrichtet literarisches Schreiben hier am Literaturinstitut in Leipzig. Auch viele Preise hat sie gewonnen. Und das Vermessen? Nun das ist so ein Bild, dass mir hilfreich erscheint, um zu beschrieben wie Draesner arbeitet. Auch Ausloten würde mir gefallen. Draesner lotet die Sprache aus, unsere und die englische. Sie lotet Landschaften aus, Orte wie Hiddensee oder London, menschliche Beziehungen wie die von Charles und seiner Frau in „Kanalschwimmer“. Ja, sie lotet sogar das aus, was nicht zu sehen ist, die Welt der Gespenster. Das Gespenst horcht auf, unglücklich in der Ecke sitzend, eben noch schien alles vorbei, doch jetzt rauscht es heran. Und findet seinen Platz im Werk von Ulrike Draesner. Dort wo sie zusammenkommen die guten Geschichten und ein vom Forscherinnendrang beseeltes Interesse für die Verästelungen der Welt.

Literatur der Folge: Bücher „Grammatik der Gespenster“, Ulrike Draesner „Eine Frau wird älter“, Ulrike Draesner „Gedächtnisschleifen“, Ulrike Draesner „Mitgift“, Ulrike Draesner „Kanalschwimmer“, Ulrike Draesner „hell und hörig“, Ulrike Draesner „Sieben Sprünge vom Rand der Welt“, Ulrike Draesner „Die Verwandelten“, Ulrike Draesner (E.T.:8.2.23) "Leben in Metaphern", George Lakoff und Mark Johnson "Vorlesungen über westeuropäische Literatur", Vladimir Nabokov

Draesners Top 5 (Körperbücher) "Das Käthchen von Heilbronn"/"Die Marquise von O.", Heinrich von Kleist "Madame Bovary", Gustave Flaubert "Under the Seawind", Rachel Carson "In the Cairngorms", Nan Shepherd "Unschuld"/"Engel", Harold Brodkey

Website von Ulrike Draesner, https://www.draesner.de

Filmtipp „All is Lost“, R.: J.C. Chandor, mit: Robert Redford

Credits Sprecher: Malte Schlage Design: Elisa Merino Vazquez Musik und Schnitt: Johannes Rieger

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